Dystonie

Unter dem Begriff Dystonie versteht man ein Syndrom mit anhaltenden Muskelkontraktionen, die häufig zu verdrehenden und wiederholten Bewegungen oder zu abnormen Haltungen führen. Dystonien kann man nach verschiedenen Kriterien klassifizieren: Nach dem Alter bei Auftreten, nach dem Ausmaß der betroffenen Körperregionen und nach der Ursache (in den meisten Fällen findet man allerdings keine Ursache!).
Im Folgenden wird nur auf die wichtigsten fokalen Dystonien, d.h. jene Formen, die auf eine Körperregion begrenzt sind, eingegangen. Die Behandlung mit Botulinum-Toxin (BT) ist hierbei Mittel der Wahl.

Der Blepharospasmus (Lidkrampf) ist gekennzeichnet durch unwillkürliche Verkrampfungen der Musculi orbicularis oculi, der Ringmuskeln, die für den Augenschluss zuständig sind. Die Beschwerden können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein: Beim klassischen Blepharospasmus kommt es zu rasch aufeinanderfolgenden Muskelzuckungen mit kräftigem Lidschluss. Beim tonischen Blepharospasmus kommt es durch langdauerndes Zusammenziehen der Muskel zu anhaltender Lidspaltenverengung. Beim Levatorinhibitionstyp besteht gar kein offensichtlicher Lidkrampf, sondern vielmehr eine Hemmung der Lidöffnung, d.h. die Patienten haben Schwierigkeiten, die Augen zu öffnen. In der Folge kann es bei allen 3 Formen zu beträchtlichen Sehbehinderungen kommen. Die Beschwerden schwanken im Verlauf, die meisten Patienten berichten von einer Verschlimmerung bei grellem Licht, Luftzug, beim Lesen, Autofahren und auch in Belastungssituationen. Häufig sind nicht nur die Augen, sondern weitere Muskeln im Bereich der Gesichts- und Kieferregion mitbetroffen, dann spricht man vom „Meige-Syndrom“.


Als Therapie der 1. Wahl gilt die Injektion von BT. Die Injektionen werden dabei an mehreren Stellen um die Augen herum vorgenommen. Liegt ein Lidkrampf vom Levatorinhibitionstyp vor, erfolgen die Injektionen direkt an Ober- und Unterlidern. Die häufigste Nebenwirkung ist die Entstehung einer Ptose, d.h. einer Lidheberschwäche. Des Weiteren kann es zu kleinen Blutergüssen, zum Auftreten von Doppelbildern, trockenen Augen oder verstärktem Tränenfluss kommen. Alle eventuell auftretenden Nebenwirkungen halten Tage bis wenige Wochen an und verschwinden danach von selbst.

Bei oromandibulären Dystonien handelt es sich um verschiedene Formen von Dystonien mit Beteiligung von Gesichtsmuskeln der unteren Gesichtshälfte, der Zungen- und Kaumuskulatur: Beim fazialen Typ kommt es zu anhaltenden Kontraktionen im Bereich der mimischen Muskulatur der unteren Gesichtshälfte, d.h. zu Unruhebewegungen um den Mund herum, Zucken der Mundwinkel oder Grimassieren. Beim Kieferschlusstyp sind jene Muskeln betroffen, die für den Kieferschluss verantwortlich sind. In der Folge kommt es zu Schmerzen und Problemen beim Öffnen des Mundes bis hin zur Kiefersperre. Beim Kieferöffnungstyp kommt es zu unwillkürlichem Aufreißen des Mundes bis hin zu Kiefergelenksluxationen. Die Kieferdystonien werden durch bestimmte Tätigkeiten ausgelöst (z.B. durch Kauen) und können zu erheblichen Beeinträchtigungen bei Nahrungsaufnahme und Sprechen führen.
Die Behandlung mit BT stellt die effektivste Therapieform dieser sonst schwierig zu behandelnden Dystonien dar, wobei allerdings oft nur eine Linderung der Beschwerden möglich ist.

Die zervikale Dystonie ist die häufigste fokale Dystonie. Sie ist charakterisiert durch unwillkürliche Verkrampfungen der Hals- und Nackenmuskulatur, die den Kopf zur Seite drehen (Torticollis), zur Seite kippen (Laterocollis), nach vorwärts (Anterocollis) oder nach rückwärts (Retrokollis) ziehen. Meist liegen Mischformen vor. Neben den Verkrampfungen der Hals- und Nackenmuskulatur treten oft auch ein Wackeln oder Zittern des Kopfes sowie ein Schulterhochstand auf. Viele Patienten mit zervikaler Dystonie leiden zusätzlich unter Schmerzen im Hals/Nackenbereich.
Therapie der Wahl ist die Injektion von BT in jene Muskeln, die eine dystone Hyperaktivität aufweisen. Diese Behandlung führt in den allermeisten Fällen zu einer deutlichen Besserung der Beschwerden, inclusive der Schmerzen. Die häufigsten wichtigen Nebenwirkungen sind eine Kopfhalteschwäche sowie Schluckstörungen. Auch hier gilt, dass Nebenwirkungen Tage bis wenige Wochen lang anhalten und danach von selbst verschwinden. Eine durch Schluckstörungen bedingte vorübergehende stationäre Aufnahme zwecks Sondenernährung ist nur sehr selten notwendig.

Bei der spasmodischen Dysphonie kommt es beim Sprechen zu Verkrampfungen von Muskeln des Kehlkopfes, die bei der Stimmbildung eine wichtige Rolle spielen. Man unterscheidet hierbei zwei Formen: Bei der spasmodischen Dysphonie vom Adduktortyp sprechen die Betroffenen mit großer Anspannung und Anstrengung, die Stimme klingt gepresst, als würde man versuchen zu sprechen, während man erstickt.
Bei der sehr viel selteneren spasmodischen Dysphonie vom Abduktortyp kommt es zu einer heiseren Flüsterstimme. Die Behandlungsmethode der 1. Wahl ist die Injektionstherapie mit BT, die oft zu einer eindrucksvollen Symptomlinderung führt.

Hierbei kommt es zu unwillkürlichen, z.T. schmerzhaften Muskelverkrampfungen am Unterarm, die zu Fehlstellungen der Finger und/oder der Hand beim Schreiben führen. Häufig lässt sich eine Überstreckung oder ausgeprägte Beugung einzelner oder mehrerer Finger bzw. des Daumens beobachten.
Beim einfachen Schreibkrampf treten die Beschwerden lediglich beim Schreiben auf, beim sog. dystonen Schreibkrampf zusätzlich auch bei anderen handwerklichen Tätigkeiten.
Intramuskuläre Injektionen von BT haben sich als derzeit wirksamste Therapieform des Schreibkrampfes erwiesen, wenn sie auch nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen zu einer zufriedenstellenden Besserung der Beschwerden führen. Als wesentliche Nebenwirkungen der BT-Therapie können vorrübergehend (!) Lähmungen von injizierten Muskeln auftreten, durch Diffusion des BT können außerdem benachbart liegende Muskelgruppen geschwächt werden.
Des Weiteren gibt es eine Menge anderer „Beschäftigungskrämpfe“, z.B. den Musikerkrampf. Hier kommt es beim Spielen eines bestimmten Instrumentes zu Verkrampfungen in der Hand (Pianisten, Geiger etc.) oder auch des Mundes (Bläser).